27.01.2022
INGE AUERBACHER SPRICHT IM DEUTSCHEN BUNDESTAG
Anlässlich des 77. Jahrestages der Befreiung des deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz durch sowjetische Truppen am 27. Januar 1945 gedenkt der Bundestag am
Donnerstag, 27. Januar 2022
in einer Sonderveranstaltung der Opfer des Nationalsozialismus.
Die Holocaust-Überlebende Dr. h. c. Inge Auerbacher wurde ebenso wie der Präsident des israelischen Parlaments, der Knesset, Mickey Levy, eingeladen, in diesem Jahr eine Gedenkrede zu halten.
Die Mitglieder und Mitarbeitenden der Gedenkstätte Blaues Haus verbindet eine jahrzehntelange Freundschaft und Zusammenarbeit mit Inge Auerbacher. Die 87-jährige Holocaust-Überlebende wurde 1934 im badischen Kippenheim geboren und verbrachte ihre ersten Lebensjahre in Jebenhausen und Göppingen. Als Siebenjährige wurde sie 1942 in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Nach dessen Befreiung durch die Rote Armee kam die Familie zunächst in ein Flüchtlingslager für sogenannte „displaced persons“ in Stuttgart. Für kurze Zeit kehrte sie nach Göppingen zurück.
Im Mai 1946 wanderte die Familie in die Vereinigten Staaten aus und ließ sich in New York nieder. 1953 erhielt Inge Auerbacher, die später als Chemikerin arbeitete, die US-Staatsbürgerschaft. 1986 veröffentlichte sie ihre Kindheitserinnerungen, die 1990 unter dem Titel „Ich bin ein Stern“ in deutscher Übersetzung erschienen.
Screenshot aus der Aufzeichnung der Oper “Brundibar”, 8. Juli 2011
Inge Auerbachers letzter Besuch in Breisach erfolgte im November 2018.
Von den vielen Begegnungen und Gesprächen erinnert das Team des Blauen Hauses in besonderer Weise die Tage, in denen Inge Auerbacher auf Einladung des Blauen Hauses an den Proben und der Aufführung der Kinderoper „Brundibár“ im Jahr 2011 teilgenommen hat. Der Kinderchor der Münsterpfarrei St. Stephan und der Chor der Hugo-Höfler-Realschule, unter der musikalischen Leitung von Nicola Heckner und der Regie von Steffi Bürger, haben damals die 1938 geschriebene Oper des Prager Komponisten Hans Krása auf die Bühne der Breisacher Stadthalle gebracht.
Die Uraufführung von “Brundibár” fand 1941 in einem jüdischen Waisenhaus in der tschechischen Hauptstadt statt. Weil die deutschen Besatzer in der damaligen Tschechoslowakei die Aufführung von Werken jüdischer Komponisten nicht zuließen, musste die Oper heimlich gespielt werden. Der jüdische Komponist Krása kam 1942 ins Konzentrationslager Theresienstadt. Dort wurde die Oper in der darauffolgenden Zeit 55-mal aufgeführt.
Auch Inge Auerbacher hat die Oper dort während ihrer Inhaftierung gehört und erzählte den jungen Sängerinnen und Sängern in Breisach: “Ich war ein Kind in Theresienstadt zwischen sieben und zehn Jahre alt und habe diese Oper als Kind gesehen. Ich konnte leider die tschechische Sprache nicht verstehen, aber ich habe so leise auch mitgesungen.”
Krása wurde, ebenso wie die meisten anderen Beteiligten an den Aufführungen von “Brundibár” in Theresienstadt, bald darauf im KZ Auschwitz ermordet. Die Kinder und Jugendlichen, die an der Aufführung der Oper in Breisach teilgenommen haben, hatten bei diesem musikalischen Geschichtsprojekt vielfach die Gelegenheit Inge Auerbacher zuzuhören, die das Lager selbst erlebt und überlebt hat. Sie konnte ihnen direkt auf ihre Frage antworten: “Warum sind sie [die Kinder] nicht einfach weggelaufen?”
Bewegt von der Premierenaufführung ging Inge Auerbacher nach Abschluss auf die Bühne und bedankte sich bei den Mitwirkenden:
„Kinder, das habt ihr ganz ganz wunderbar gemacht und ich denke, die Theresienstadt-Kinder im Himmel haben zusammen mit Euch gesungen. …Ich bin ganz gerührt, ich habe viele Studenten kennengelernt, durch die Vorträge, die ich gehalten habe und ich denke, der böse Brundibár hat ja verloren und das Gute hat gewonnen. Und so soll es auch im Leben sein. Und wie das Endlied geht – wir wollen auch Frieden und vielleicht könnten wir das nochmal singen.”
Im Jahr 2021 sind uns einige dieser jungen Menschen wiederbegegnet, im Jugendbeirat der Stadt Breisach beispielsweise, in dem sie sich für den Erhalt bzw. die Kenntnismachung des durch Bebauung gefährdeten Begräbnispfades am neuen jüdischen Friedhof einsetzen. Sie tragen heute das “Flämmchen” weiter, das vor 10 Jahren durch die Begegnungen und Erlebnisse mit Inge Auerbacher und die Arbeit an “Brundibár” entzündet wurde. Wir wünschen uns, dass Inge Auerbacher diesen Impuls weiterhin wachhalten kann und auch wir in den Gedenkstätten junge Menschen stets aufs Neue mit der Geschichte verbinden und berühren können.
Wir freuen uns über die Auszeichnung, die Inge Auerbacher zuteil wird und auf ihren Besuch in Kenzingen, der sich den Tagen in Berlin anschließen wird, und damit auf ein Wiedersehen mit ihr.
Die Gedenkstunde wird live im Parlamentsfernsehen und im Internet auf www.bundestag.de ab 10 Uhr übertragen. Parallel dazu wird sie mit englischem Dolmetscherton auf der englischsprachigen Webseite des Bundestages www.bundestag.de/en ebenfalls live übertragen.
Blaues Haus, Gästebucheintrag
vom 9.7.2011