12.02.2020

BESUCH EINES KOSMOPOLITEN – Ein Abend mit Sir András Schiff

Der Pianist von Weltruf und 2014 geadelte Wahl-Brite las unlängst im Blauen Haus aus seinem Buch „Musik kommt aus der Stille“ über seine Kindheit im stalinistisch geprägten Ungarn. Bürgerlich und jüdisch zu sein, war eine Art Doppelhypothek: die „falsche“ soziale Herkunft und immer verdächtig, mit dem kapitalistischen Weltjudentum zu paktieren. Trotz komplizierter Traumatisierungen der Eltern durch den Holocaust und dem bleiernen Druck des kommunistischen Regimes, durchlebte das Einzelkind eine eher behütete Kindheit.
Die Mutter spielte ausgezeichnet Klavier, der Vater, ein Gynäkologe, liebte die Geige und war ein Verehrer des polnischen Star-Violinisten und großen Humanisten Bronisław Hubermann. András Schiff gehört denn auch zum Kreis der Initiatoren des Bronisław-Huberman-Forums (Berlin/Freiburg), das 2017 gegründet wurde, und Kooperationspartner des Blauen Hauses bei der Veranstaltungsreihe „Musikalische Raritäten“ zum Thema Verfolgung-Widerstand-Exil ist.

 

Bach, Mozart oder Bartók kamen also nicht zu Gehör an diesem Abend, wohl aber im zweiten Teil Musiktitel von Georg Kreisler, dem „taubenvergiftenden“ österreichisch-amerikanischen Komponisten unsterblicher Lieder über die Sterblichkeit („Der Tod muss ein Wiener sein“). Deren Anarchie und schwarzer Sprachwitz haben es András Schiff offenbar angetan, denn er kommentierte die historischen Aufnahmen im Gespräch mit seinem Freund, dem ehrenamtlichen Musikkurator des Fördervereins Dirk Nabering, mit großer Wertschätzung.

 

Pianist gegen Präsident

 

Ein ungewöhnlicher Auftritt eines Kosmopoliten, der übrigens seit Jahren sein Heimatland nicht mehr betreten hat. Denn als der Pianist im Januar 2011 in einem Text in der „Washington Post“ die Eignung Ungarns zur EU-Ratspräsidentschaft wegen demokratischer Defizite bezweifelte, brach ein Sturm medialer Empörung gegen den „Nestbeschmutzer“ los. Schiff wurde in einer Tageszeitung als „stinkendes Exkrement“ bezeichnet und im Internet bedroht („Wir schlagen dir beide Hände ab !“). Und sein Protest gegen das fragwürdige ungarische Mediengesetz, das die national-autoritäre Handschrift Viktor Orbáns trägt, hat den weltweit vielleicht renommiertesten Künstler Ungarns wohl endgültig zum freiwilligen Exilanten gemacht.

 

András Schiff: Musik kommt aus der Stille (Bärenreiter/Henschel Verlag)

Text und Fotos: Andreas Nicolaus Vetrone

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